Der vierte Sektor Presse

Der vierte Sektor Dokumentarvideo 1999

HÖRZU, Nr.57, 19. Dez. 1999:

Der vierte Sektor
Dokumentarfilm über den Boom der privaten Sicherheitsbranche

Hohe Arbeitslosenzahlen sowie die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich – ein Strukturwandel, der das Vertrauen in die politischen Institutionen schwinden lässt. Verunsicherung, Isolation, aber auch Aggression breiten sich aus, der Ruf nach öffentlicher Sicherheit wird lauter. Eine Entwicklung, von der ein Bereich der Dienstleistungsbranche besonders profitiert: der private Sicherheitsservice. Adolf Grimme-Preisträger Martin Zawadzki hinterfragt dieses Phänomen. Ausgangspunkt seiner Beobachtungen ist eine Umschulung an der TÜV Akademie Berlin-Spandau, wo Arbeitslose zu „Privaten Sicherheitsexperten“ ausgebildet, auf zukünftige Einsätze als Wachmann, Kaufhausdetektiv oder Personenschützer vorbereitet werden. Fatal nur, dass Sicherheitsdienste genau das erzeugen; wogegen sie antreten: eine Atmosphäre der Angst. juhe

Frankfurter Allgemeine Zeitung
Nr. 297, Dienstag, 21. Dezember 1999, Seite 50:

Sicherheit: „Der Vierte Sektor“

Ein klassischer Agentenfilm könnte so anfangen. Außen, früher Morgen. Ein schroffer Gebäudeklotz ragt ins blaue Zwielicht. Mit elektronischem Surren läuft eine Ortsangabe ins Bild: „TÜV-Akademie, Berlin-Spandau“. Drinnen begrüßt ein Schnauzbart im karierten Sakko etwa zwanzig arbeitslose Männer, und Frauen zum „Lehrgang Detektiv“. Sein Projektpartner vom Arbeitsamt betont: „Gute Detektive sind rar. Die Leute, die jetzt im Kurs sind, sind Gewinner. Und wir haben sie zu Gewinnern gemacht.“ Martin Zawadzkis Dokumentarfilm „Der Vierte Sektor“, den 3sat am Sonntagabend zeigte, erzählt davon, wie aus Verlierern Helden werden sollen, und versucht am Beispiel des privaten Sicherheitsdienstes zugleich eine Diagnose der gegenwärtigen Umwälzungen auf dem Arbeitsmarkt zu liefern. „Wer auf pünktlichen Feierabend, regelmäßige Einnahmen und überhaupt auf ein bürgerlich normales Leben Wert legt, sollte sich eine andere Tätigkeit suchen“, schärft der Ausbilder den Kursteilnehmern ein. Abgesehen von einem Hauch Verruchtheit erscheint der Detektiv als Inbegriff des „flexiblen“ Werktätigen der Zukunft. Zehn Monate lang hat Martin Zawadzki den Lehrgang begleitet. Die Kamera ist dabei, wenn die zukünftigen Sicherheitsdienstleister in die Tricks von Kauffhausdieben undin Nahkampftechniken eingeweiht werden oder unter der Anleitung eines ehemaligen Polizeimajors im Ministerium für Staatssicherheit der DDR Geländespiele mit Fotoapparat und Walkie-Talkie absolvieren. Die Geduld des Filmemachers hat sich ausgezahlt. Zawadzki gibt den befragten Kursteilnehmern ausreichend Raum, um ein eigenes Profil zu gewinnen, und nimmt ihre Erfahrungen und Einschätzungen ebenso wichtig wie jene der hinzugezogenen Soziologen. Die Symbiose von wachsender Kriminalitätsfurcht und dem Erfolgskurs der Sicherheitsbranche, auf welche die Experten hinweisen, nehmen auch die Detektivanwärter mit einer Mischung aus Zynismus und Bedauern zur Kenntnis. Ein weiteres Kunststück ist Zawadzki allerdings im Gespräch mit seinen wissenschaftlichen Gewährsleuten gelungen. Die beiden Soziologen äußern sich weitgehend pragmatisch und scheuen sich nicht, Position zu beziehen. Vor allem der Amerika-Experte Loic Wacquant, der das Erstarken einer globalen kapitalistischen Klasse für die zunehmende Spaltung der Gesellschaften in Arme und Wohlhabende verantwortlich macht, zögert nicht, konkrete Vorschläge wie das Modell eines von Erwerbsarbeit unabhängigen Bürgergeldes ins Gespräch zu bringen. Folgt man Wacquant, so steht Europa vor der Entscheidung, einen neuen Wohlfahrtsstaat zu entwickeln oder dem amerikanischen Vorbild zu folgen, das durch die Kriminalisierung von Armut und die Verwaltung von Ungleichheit durch Polizeigewalt gekennzeichnet sei. Martin Zawadzkis Dokumentarfilm, der den Zuschauer anhand persönlicher Schicksale in den „Vierten Sektor“ Sicherheit eintauchen lässt, macht greifbar, was dabei auf dem Spiel steht. FRANK KASPAR

General Anzeiger, 21.12.1999:

FERNSEHKRITIK
Handfester Diskurs
Der vierte Sektor (3Sat).

„Lautlos und effektiv“ müssen sie sein, sagt der Ausbilder an der TÜV-Akademie in Berlin. Dort werden im „Lehrgang Detektiv“ ehemalige Arbeitslose zu Personenschützern für die Wirtschaft umgeschult. Wer nun eine reißerische Reportage erwartete, wurde enttäuscht. Die 3Sat-„Dokümentarfilmzeit“ bürgt nun mal für einen gewissen Qualitätsstandard. Der mit dem Adolf-Grimme Preis ausgezeichnete Dokumentarfilmer Martin Zawadzki weitete sein Stück über die Sicherheitsindustrie fast zu einem soziologischen Diskurs aus. Entsprechend vielschichtig fiel die Dokumentation aus. Zawadzkis Thesenkette: Die soziale Ungleichheit führt zu gesellschaftlichen Spannungen; die wiederum führen zu einem Überwachungswahn, und der erzeugt eine „Kontrollindustrie“, eine Art vierte Macht im Staat. Der Autor garnierte dies mit handfester Kapitalismuskritik und Betrachtungen zur Zukunft der Arbeit. Ein Thesenfilm, der hochinteressante Denkanstöße gab und visuell sehr abwechslungsreich war. Reinhard Meyer

Deutsche Tagespost, 21.12.1999:

Der Fernsehkommentar
Eindrucksvolles, komplexes Bild

In der TÜV-Akademie in Berlin Spandau werden, unter anderem, auch Detektive ausgebildet. In Martin Zawadzkis Dokumentarfilm haben wir Gelegenheit, einige der Studenten kennenzulernen. Wir erfahren, wer sie sind und warum sie sich als Sicherheitsdienstleister ausbilden lassen. Im Laufe der siebzig Minuten entsteht aus Gesprächssequenzen mit ihnen, Interviews mit Soziologen und Ausbildern plus Impressionen aus dem Berufsalltag der Branche ein eindrucksvolles, komplexes Bild von der Verknüpfung individueller Biografien, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklungen. Ein arbeitsloser Automechaniker bemüht sich – erfolgreich, wenngleich bar jeglichen rhethorischen Talents, die Bedeutung der „Wende“ in seinem Leben zu erklären. Loic Wacquant, französischer Soziologe in Berkeley, stellt auf ironisch-drastische Art klare Bezüge her zwischen neoliberalem Marktglauben, neuen Klassenkämpfen und Reaktionen auf Bedrohungsängste. Stadtsoziologe Hartmut Häußermann rät spöttisch zur Investition in der boomenden Sicherheits- und Überwachungsbranche. Schöne neue Zustände, aber immerhin haben wir hier einen expandierenden Arbeitsmarkt, auf dem „Vierten Sektor“. Die Interviewten vermögen atmosphärisch zu vermitteln, aus welchen Gründen nach mehr Sicherheit gerufen wird. Gewalt erscheint anonym, willkürlich, ja oft völlig grundlos und überraschend aufzutreten, beinahe jede/r scheint potentielles Opfer oder auch Täter. Die kleinste Irritation kann zur Eskalation führen, wie selbst ein Kaulbausdetektiv täglich erlebt. Eigentum und Gesundheit scheinen jederzeit in Gefahr, Hilfe aber kann erst kommen, wenn es schon Opfer gegeben hat. Gewaltmonopol hin oder her, der Staat könne für Sicherheit nicht mehr garantieren. Die Metropolen schlagen inzwischen beständig Alarm, die Gewaltkriminalität nehme rasant zu. Normalbürgerinnen und -bürger bewaffnen sich, aus Furcht vor Raub, Mord, Vergewaltigung, Vandalismus und anderen Verfallserscheinungen unserer Zivilisation. Angetrieben durch schwankende Emotionen, die das Spektrum von panischer Überforderung bis zu größenwahnsinnigen Machtfantasien abdecken, wird allenthalben aufgerüstet. Das läuft unter dem Stichwort Vorbereitung, welches harmlos klingt, solange man sich nicht nach den Maßnahmen erkundigt. In der Regel genügt ein Blick über den großen Teich, dessen Wasser längst nicht mehr verhindern, dass modische Apokalypsewellen nach Europa schwappen. Der ungebremste Optimismus, den man hier den Amerikanern unterstellt, wird derzeit heftig und mit drohendem Unterton konterkariert: Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten wird zur gigantischen Mördergrube, in deren irrationalem Abgrund niemand vor niemandem mehr sicher sein kann. Die Lösung – wir erinnern uns an die Worte unseres Psychotherapeuten – ist „more of the same“. Man präpariert sich für die Gegenoffensive. Inadequat aber naheliegend. Und während hierzulande die Intellektuellen (teilweise) noch die Köpfe schütteln und die Nasen rümpfen über massenhysterische Überreaktionen, läuft vor der eigenen Haustür die Besorgniserregungsmaschinerie schon auf vollen Touren. Bravo Berichterstattung, vermittels 1A marktförmig organisierter Medienlandschaft ist der Import leicht verständlicher Horrorszenarien vollständig gelungen. Beleuchtet, vergrößert, dramatisiert, inszeniert, verzerrt und multipliziert weiden alle mit Kameras erreichbaren Ereignisse zu Medienspektakeln. Dokumentiert, im elitär-engeren Sinne, mit aufklärerischem Impetus, ohne demagogische Nebenwirkungen billigend in Kauf zu nehmen, wird selten. Warum ist leicht erklärt. Solche Filme werden zwar gedreht. Doch auf jeden vernünftigen, kompetenten Versuch kommen dreißig Biliigprodukte zur besten Sendezeit. Das ist eine Spekulation, aber setzen Sie sich einmal eine Woche lang jeden Abend vor den Fernseher zur Überprüfung. Deshalb dieser enorme Aufschwung in der Sicherheitsbranche? Der Film gibt keine direkten Antworten. Man muss den Regisseur für seine Zurückhaltung beglückwünschen. Er ist nicht etwa der Illusion erlegen, die Bilder sprächen womöglich für sich selbst. Könnten sie das, müssten wir uns um Realitätsdeutungen nicht mehr streiten. Es ist ihm vielmehr der Eiertanz gelungen, mehrere. Verständnisebenen nebeneinander zu legen, ohne dabei Experten gegen Laien auszu-. spielen. Die Dokumentation kennt keine privilegierte Sicht, . wertet nicht eine Meinung auf, eine andere ab. Das Bewusstsein von Bedrohung entsteht nicht voraussetzungslos oder gar unmittelbar. Was wir über die gefährliche Wirklichkeit da draußen wissen, erfahren wir im Zusammenspiel von eigener Wahrnehmung konkreter Situationen und kollektiven Diskursen über soziale Phänomene. Wie man Sicherheit (wieder) herstellt, hängt eng damit zusammen. Daran hat sich die Dokumentation gehalten und beispielhaft vorgeführt, wie man nicht in die Falle tappt, die eigenen Gespenster erst zu erzeugen und schließlich vor allem Stimmungen zu verstärken. (18.12.1999, Sonntag, 3Sat, 22.00 Uhr) Katja Werner

Der Tagesspiegel, 19.12.1999:

„Der vierte Sektor“
3sat-Dokumentation von Martin Zawadzki über Sicherheitsdienstleister

„Die Gesetze des Marktes sind hart“, darum bedarf es „harter, selbstbewusster Kämpfer“, die für die Einhaltung dieser Gesetze sorgen. Allzu selbstbewusst jedoch wirken die Kämpfer, angehenden Kaufhausdetektive, Wachmänner und Personenschützer, die in der TÜV-Akademie Spandau derart belehrt werden, nicht. Als Arbeitslose, die hier an einer Umschulung teilnehmen, haben sie selbst die Härte des Marktes zu spüren bekommen. Nun soll der Beruf des „Sicherheitsexperten“ auch ihre eigene Existenz sichern. „Die Höhe der Kriminalitätsrate“, beteuert ihr Dozent, ein ehemaliger Stasi-Major, „garantiert jedem einen job“. Was ihnen eine neue Perspektive verheißt, erfüllt den US-Soziologen Wacquant, den Martin Zawadzki für seinen 3sat-Dokumentarfilm „Der Vierte Sektor“ (ab 22 Uhr) aufsuchte, mit Sorge. Den Berkeley- Professoren beherrschen düstere Visionen eines 0rwellschen Überwachungsstaates, der die von der Globalisierung ausgelöste Armuts- und Aggressionswelle mittels eines monströsen Sicherheitssystems zu beherrschen suche. Für Filmautor Zawadzki bestätigt die Konjunktur der privaten Sicherheitsdienste die These, dass auch hierzulande ein gewaltiger neuer Wirtschaftszweig a1s vierter Sektor neben den Bereichen Industrie, Agrar und Dienstleistung heranwächst. Aber auch wenn er die Spandauer Umschüler zeigt, wie sie während des Praktikums angespannt Messestände von Konzernen, Staatsgäste in feinen Hotels oder Tanzlokale beschützen, fällt es schwer, in ihnen mehr als die auf smart getrimmte gute, alte Wach-und Schließmannschaft zu sehen oder den Türsteher, den man weniger als Vorboten des „großen Bruders“, sondern eher als Mann mit der lockeren Faust kennt. Und doch steht der zukünftige Sicherheitsexperte für einen neuen Typus von Arbeitnehmer. Über seine Thesen spricht nach dem Film – ab 23 uhr 10- der Kölner Medienforscher und Fernsehkritiker Dietrich Leder mit dem 1957 in Oberhausen geborenen Autor, der für seinen DFFB-Abschlussfilm „Isolator II“ 1998 den Adolf-Grimme-Preis erhielt.
MICHAEL BURUCKER