Isolator II Förderpreis der deutschen Filmkritik

Isolator II Dokumentarvideo 1996

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DUISBURGER FILMWOCHE
FÖRDERPREIS DER DEUTSCHEN FILMKRITIK IN DER SPARTE DOKUMENTARFILM

Die Jury der Arbeitsgemeinschaft der Filmjournalisten vergibt den Förderpreis in der Sparte Dokumentarfiim an: ISOLATOR II von Martin Zawadzki

> Begründung der Jury der Arbeitsgemeinschaft der Filmjournalisten Mo Beyerle, Karin Jurschick, Klaus Gronenborn
> Diskussion mit Martin Zawadzki (Regie & Buch), Gerd Haag (Produzent), Dr. Volker Runde (KMT-Spezialist)

Begründung:

Isolator II bringt auf eindringliche Art und Weise eine durch die eigene Grenzerfahrung einer lebensbedrohlichen Krankheit ausgelöste Ambivalenz gegenüber dem medizinischen Fortschritt zum Ausdruck. Der Film macht ein grundlegendes Dilemma augenfällig: Mit der Vermessung des Menschen, seiner Anpassung an standardisierte Normen wird die moderne Medizin Teil eines Systems, das die Krankheit, um deren Heilung sie ringt, bis zu einem gewissen Grad mitverursacht. Der Film löst dieses Dilemma nicht auf. Gerade deshalb wirft er den Betrachter auf seine eigene Körperlichkeit zurück und fordert zur Auseinandersetzung mit der eigenen Haltung zum Leben und dem Preis des Überlebens heraus. Damit weist er weit über die Darstellug eines medizinischen Falles oder Einzelschicksals hinaus. In Montage und Bildgestaltung vollzieht Isolator II die Vernetzung des Menschen in den medizinischen Apparat nach, die ihn zum Teil einer Maschine werden läßt. Doch die Kamera schlägt sich nicht auf die Seite der kontrollierenden Überwachungsinstanzen. Der Blick auf den Prozeß einer Knochenmarktransplantation ist kein kalt-medizinischer Blick. Hinter der Kamera bleibt ein Autor spürbar, der weiß, was er zeigt und wovon er spricht, und der den Menschen innerhalb der Apparatur als verletzliches Wesen zeigt.

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20. DUISBURGER FILMWOCHE
Diskussionsprotokoll NO. 19

ISOLATOR II
Donnerstag, 7. November 1996, 20.00 Uhr

Podium: Martin Zawadzki (Regie & Buch), Gerd Haag (Produzent), Dr. Volker Runde (KMT-Spezialist)

„Ärzte, die eine menschliche Medizin Fordern, sind keine Arzte, sondern Sozialarbeiter“

„Ärzte sind wie Schachspieler … gut spielen ist wie eine Ekstase“ (Georges Mathé)

Martin Zawadzki, 1987 mit der Diagnose „Leukämie“ konfrontiert und 1989 – nach einer Zeit des „Herumirrens“ und der Suche nach alternativen Heilmethoden zur Schulmedizin – durch die Prozedur der KMT gegangen, schildert, daß der: eigentliche Anstoß, Isolator II zu realisieren, von dem ihn damals betreuenden Arzt Dr. Runde gekommen sei. Nach Erstellung eines Kurz-Videos zu der Thematik und nachdem die Frage der Bezuschussung sich geklärt hatte, habe es wider Erwarten („wie durch ein Wunder“) doch noch eine Drehgenehmigung der Klinik gegeben.

Die Entscheidung, den Feuerwehrmann Herrn Knechten – dem es inzwischen gut gehe – auf seinem Weg durch die Prozedur der Knochenmarktransplantation zu begleiten, sei nach persönlichem Kennenlernen in der Klinik erfolgt. Habe man zu Beginn des Films den Eindruck, Herr Knechten stimme voller Hilflosigkeit einem Projekt zu, sei im weiteren Verlauf der Eindruck einer entstehenden Freundschaft zwischen Zawadzki und Herrn Knechten entstanden, beschreibt Didi Danquart.

Er habe Herrn Knechten viele Informationen geben können, als Betroffener und mit dem Verlauf der Prozeduren Vertrauter, und sei letztlich zu einer Art „Ansprechpartner“ geworden, so Zawadzki. Zusätzlich habe die Präsenz des Filmteams wohl ein Gefühl der Sicherheit und Privilegierung für den Patienten bedeutet, eine Art „zweite Kontrollinstanz“, die überwache, „ob die auch alles richtig machen“.

Für das behandelnde Ärzteteam, ohnehin unter Extremstreß, sei die Gegenwart von Kameras! Filmenden eine enorme Belastung, fügte Dr. Runde hinzu.

Auf die Frage, was ihn veranlaßt habe, diesen Film zu produzieren, berichtete Gerd Haag, der ursprüngliche Titel des Films („-8+5O“/“MinusAchtPlusFünfzig“) sei eigentlicher Auslöser gewesen: Dieser technische Begriff für etwas, das so tief mit Menschlichem verbunden sei, habe ihn beeindruckt, die Abbildung von „Großmedizin“ sei ein dokumentarisches Filmthema, das BE- TREFFE. Spannend auch der Zusatz, daß es eine „Klasse von Redakteuren“ gebe, die erst anhand einer solchen Thematik ihre individuelle Körperlichkeit zu entdecken begönnen und aus dieser Subjektivität heraus den Film ablehnten.

Die Art der GEWALT, die der Film präsentiere, sei – für Nicht-Mediziner – abschreckend, kaum erträglich. Die unglaubliche Brutalität, mit welcher der Film sofort einsteige, habe etwas von „reality show“, die Mischung aus ANGST und SENSATION löse Fluchtimpulse beim Zuschauer aus, so Danquart.

Zawadzki empfindet den Anfang des Films keineswegs als „abschreckend“. „Es ist eben so“, und gleichzeitig auch wieder etwas vollkommen anderes, POTENZIERTER SCHRECKEN, wenn man selbst betroffen sei. Schlagartig entstehe die Erkenntnis, daß es kein Zurück mehr gebe: „point of no return“. Nur so könne man das In-Gang-Setzen dieser Maschinerie sichtbar machen, versuchen zu verdeutlichen, was diese Apparatemedizin tatsächlich bedeute.
Das „Terminator-Thema“, dieses „Roboter-System“ übe eine Faszination aus. Es symbolisiere eine bestimmte Vorstellungswelt, welche suggeriere, bei Wieder-Austritt aus dieser Sphäre habe man sich verändert. Dies sei aber keineswegs der Fall, zumindest komme man nicht „technischer da raus“.
Die Architektur dieser „Fabrik“, die sich um den in seiner „Zelle“ als. hermetischem Raum verharrenden Patienten-Menschen schließe, der gleich einem „Astronauten“ verkabelt sei, garantiere dessen Leben.

Der Film sei gewalttätig, so Werner Ruzicka.
Diese GEWALT sei notwendig, um das Wesen der Medizin zu zeigen, in ihrer Dialektik von SCHMERZ ZUFÜGEN, UM LEBEN ZU KÖNNEN.
Dies mache der Film deutlich.
Die Dimension von MEDIZINISCHER KONTROLLE kristallisiere sich heraus. Der Film erreiche die Motivik des „NEU-GEBOREN-WERDENS“ und schildere die GRENZE VON LEBEN UND TOD.
„Ein brillanter Film. Ein delikater und radikaler Film.“

Thematisiert wurden noch Fragen nach Schulmedizin und anderen Heilmethoden, wozu Zawadzki äußerte, daß er die Erfahrungen, die er vor der definitiven Entscheidung für die KMT gemacht habe, keineswegs missen wolle. Der „Apparatemedizin“ stehe er noch immer mit Skepsis gegenüber. Sich dagegen zu entscheiden wäre jedoch Selbstmord gewesen, hätten ihm andere Methoden doch keine Hilfe bringen können.

LEBEN UND STERBEN. „Warum willst du nicht sterben?“ zählte zu den zentralen Fragen, die der Film aufgeworfen hatte, bestehe die Notwendigkeit einer Beschäftigung mit dieser Frage doch nicht nur für von Krankheit Betroffene.

Zum Schluß der Diskussion die Frage nach der Reaktion Zawadzkis, hätte Herr Knechten die KMT nicht überstanden. Dietrich Leder warf ein, daß es sich bei dieser Frage nicht nur um eine moralische, sondern auch ästhetische handle: HAPPY END MIT FRAGEZEICHEN. Permanent habe Zawadzki doch entscheiden müssen, wie er mit dem Privaten, der INTIMITAT VON SCHMERZ umgehen wolle. Zawadzki erklärte daraufhin, Herrn Knechten einerseits zugesichert zu haben, „keine Schweinereien zu zeigen“ und alles weitere „am Schneidetisch“ entschieden habe, und zweitens – hätte Herr Knechten den Wunsch geäußert – ihn bei seinem Sterbeprozeß begleitet hätte.
Mit der Frage eines potentiellen Tods von Herrn Knechten während der Dreharbeiten konfrontiert, formulierte Produzent Gerd Haag, dazu könne er nichts sagen. Wenn man auf dem Nachhauseweg gegen einen Baum fahre, dann wisse man ja auch nicht…

Liane Schüller