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Bild Leipzig Videofilm+Computeranimation 1993 / 94

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Das Video „BILD LEIPZIG“ entstand im Rahmen einer Auseinandersetzung mit westlichen Sichtweisen auf die Veränderungen in der Ex-DDR, mit den Medien- und Werbestrategien des Kapitalismus‘ sowie mit den Propagandastrategien des verfallenen DDR-Sozialismus‘ am Beispiel Leipzigs.

Zentraler Ort dieser zunächst auf den urbanen Raum bezogenen Auseinandersetzung war die Reichs Straße in der Innenstadt Leipzigs. Auf dem Weg vom Hauptbahnhof ins Zentrum der Altstadt überquert man diesen idyllischen, halboffenen Platz, der zu DDR- Zeiten gleichsam das „Fenster“ der Messestadt zur Welt war. Etwas erhöht, repräsentierte er mit seinem Brunnen, den Grünstreifen und Sitzbankgruppen, und der Bronzeplastik eines jungen Paares – umgeben von einstöckigen Pavillions und hohen Plattenbau-Wohnhäusern – die ideale realsozialistische Gesellschaft, wie sie wohl offiziell imaginiert wurde. Leipzig spielte, was die Gestaltung von Außenhandelswerbung, Propaganda und Massenveranstaltungen anging, eine Vorreiterrolle in der DDR. Der Modellcharakter des Platzes sollte das angestrebte gesellschaftliche Ideal auch nach Innen herstellen helfen.

Dieses Areal wurde in einer Computeranimation flächen- und volumengetreu nachkonstruiert, die Bauten selber sind jedoch Modellen der russischen Revolutionsarchitektur nachempfunden, im Sinne einer Art Rückführung auf einen positiv besetzten ideologischen Quasi-Ursprung der industriellen Plattenbauweise.

Nach dem Zerfall des Realsozialismus‘ wurde der Stadtraum Leipzigs auf zunächst „chaotische“ Weise, der kapitalistischen Logik folgend, neu definiert. Durch den Zusammenbruch der zentralistischen Verwaltung und die einsetzende Privatisierung bestimmten vor allem einzelne Firmeninteressen, bestimmte das Konkurrenzprinzip die Veränderungen der städtischen „Benutzeroberfläche“. Werbung, Logos, provisorische Container und „postmoderne“ Fassadenerneuerungen mischten sich mit den alten Formen und Zeichen; Flächen, die zuvor für kollektivistische Propaganda benutzt wurden, kündeten nun vom Glück des individuellen Konsums. Neue Zeichen und alte Spuren zweier gesellschaftlicher Utopien vermischten sich auf engstem Raum auf zum Teil bizarre Weise.

Im Rahmen unserer Recherchearbeit führten wir Gespräche u.a. mit ehemaligen Mitarbeitern der DEWAG, die für Agitation und Propaganda im Stadtraum und Choreographien von Massenveranstaltungen verantwortlich waren, sowie mit Bauhaus- geschulten Architekten, aber auch mit Bewohnern der Stadt, die, im Gegensatz zu vielen ehemaligen Funktionären, die inzwischen in der Werbung oder im Immobilienbereich arbeiten, von den sozialen Auswirkungen der „Wende“ anders betroffen sind.

Wir entwickelten aus all dem die Story von „BILD LEIPZIG“, die durch reale Entwicklungen, v.a. nach Fertigstellung des Films, merkwürdige Korrespondenzen erfuhr.

ETC.:

„Massenfertigung von Bauelementen und Serienmontage von Bauwerken gehören zur Grundlage sozialistischer Baukunst. Die Beschränkung und die Einheitlichkeit der Konstruktionslösungen formen den Montagebau von morgen vom Grundsätzlichen her. Raumkunst und Gestaltung der Flächen erhalten neue Maßstäbe und lassen auf diese Weise den neuen Baustil entstehen. Die Raumbildung und -komposition werden nicht durch individuelle Vorstellungen des einzelnen zu extremistischen Architekturformen verleitet, sondern durch eine einheitliches, räumliches Rastersystem einer neuen Qualität der Baukunst zugeführt. An die Stelle zügelloser Vielfalt der Entwurfslösungen treten Bauwerke, die sich durch eine wohltuende Rhythmik streng koordinierter Maßkombinationen und wiederkehrender, einheitlicher Bauelemente auszeichnen. Die geschickte Kombination besonders für die Industrialisierung geeigneter Baukörperformen schafft dynamische Wirkungen der Bebauungskomplexe in Stadt, Land und Industrie in Verbindung mit ausreichenden und ausgleichenden Grünanlagen.“
(Helmut Achenbach, Montagebauten, 1962)

„Jeder, ob privat oder Firma, das große Geld liegt im heutigen Osten! Der heutige Osten ist die neue Form der damaligen Goldgräberstätten … Legale Zweitpässe für eine Stereoanlage, Firmenübernahme ohne Eigenkapital, geheime Devisenkonten, die keinem Amtshilfeabkommen unterliegen, Finanzierungsgeschenke und Steuerfreiheit, 1a-Bonität – auch wenn Sie den Offenbarungseid schon in den Papieren haben, Frauen satt, auch mit Glatze und Schmierbauch … So sahnen Sie im Osten richtig ab … Warum der Osten oft steuerfrei ist … So steigen Sie in eine Konkursfirma ein und sichern sich Riesenprofite“ (Prospekt der Heinz Moos Verlag GmbH aus Remchingen, Frühjahr 1992).

Kurz nach Beendigung der 15-tägigen Dreharbeiten Ende 1993, legte die Leipziger Stadtverwaltung ein Papier mit dem Titel „Arbeit für Leipzig“ vor. Darin hieß es, daß Arbeitsangebote nicht ausschließlich der Freiwilligkeit überlassen werden dürften, Hilfeempfänger müßten „per Verwaltungsakt“ zur Arbeit herangezogen werden. Bis zu 5000 „Arbeitsgelegenheiten“ könnten in Leipzig geschaffen werden. Die Höhe der Bezahlung müßte über der Sozialhilfe, aber „unter der regulären Lohnleistung des 1. Arbeitsmarktes liegen.“ Was damals noch vehement kritisiert wurde, weil es „Praktiken des Arbeitsdienstes“ oder der Zwangsarbeit ähnelte, ist inzwischen Usus geworden, nicht nur in Leipzig, sondern danach zunächst in Hamburg, und inzwischen in fast allen deutschen Städten, unter dem Namen „Gemeinnützige Arbeit“.

„Setzen wir die Kosten eines rentablen Arbeitsplatzes mit … 300.000 DM an, dann heißt das, daß für 1 Million Arbeitskräfte Sachkapitalinvestitionen von 300 Milliarden DM nötig sind. Für die ursprünglichen 10 Millionen Arbeitskräfte der DDR wären dies 3 Billionen DM. Für 100 Millionen Arbeitskräfte in Osteuropa 30 Billionen DM. Für 150 Millionen GUS-Arbeitskräfte weitere 45 Billionen DM. Und für 500 Millionen rentable Chinesen noch einmal 150 Billionen DM.“ (Robert Kurz, Potemkins Rückkehr, 1993)

Im Dezember 1996 fuhren wir mal wieder nach Leipzig. Die Ankunft im größten Kopfbahnhof Europas bot eine ziemliche Überraschung: wir landeten in einer riesigen Baustelle. Im Zuge der Privatisierung der Bundesbahn zur Deutschen Bahn AG vollzieht sich die Privatisierung großer innerstädtischer Areale, die fortan nur noch nach rein kapitallogischen Kriterien „betrieben“ werden sollen. Und auch hier spielt Leipzig eine Vorreiterrolle. Die Idee des „Kaufbahnhofs“ wird in Leipzig zum ersten Mal von der Deutschen Bahn AG realisiert. Die ehemaligen 10.000 m² Bruttogeschoßfläche für Einkaufszwecke im Leipziger Bahnhof werden durch das Einziehen von 4 zusätzlichen Ebenen auf 45.000 m² erhöht. Um Leipzig herum sind in den letzten Jahren bereits riesige Shopping Malls entstanden. Die Folge: während in westdeutschen Innenstädten die sog. „Verkaufsfläche pro Einwohner“ 0,4 m² beträgt, liegt sie in Leipzig vor Eröffnung des „Kaufbahnhofs“ schon bei nur 0,1 m². Der Einzelhandel in der Innenstadt ist fast lahmgelegt. 180.000 Besucher soll der „Kaufbahnhof“ täglich anlocken, die 500.000 DM Umsatz versprechen. Während Leipzig bezüglich der Bahnhofsgebäude Pilotfunktion hat, ist die Bebauung des Potsdamer Platzes in Berlin durch Daimler-Benz, Sony, u.a. prototypisch für die Privatisierung und Umgestaltung ganzer innerstädtischer Areale. Dabei werden erstmalige Erfahrungen gesammelt was Logistik, unterirdische Gleisverlegung, Errichtung von Fundamenten unterhalb des Grundwasserspiegel, etc. angeht. Dasselbe Baukonsortium zieht dann weiter nach Frankfurt, Stuttgart, München, Köln, (das sog. „Projekt 21“). Riesige Flächen in Citylage werden dann für private Investoren frei. Eine mittelfristige Veränderung des sozialen Gefüges der Städte ist somit vorprogrammiert.

„Die Zukunft beginnt jetzt.“
(Slogan der Leipziger Volkszeitung 1993)